Newsletter Sommer 2016

Liebe Leserin, lieber Leser!

Im Folgenden berichten wir über
A) Review Weltweite Strahlen-Überexpositionsunfälle
B) Studie zu arbeitsbedingten Krebserkrankungen des ÖGB und der Österreichischen Arbeiterkammer
C) Hirntumor-Mortalität bei Durchleuchtungs-RTs möglicherweise erhöht
D) Verdoppelung der CT-Untersuchungen an kalifornischen Traumapatienten innerhalb von 8 Jahren
E) 30 Jahre Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
F) VMSÖ-Jahrestagung 2016 - Vorprogramm

 

Mit den besten Wünschen für einen schönen Sommer verbleibt herzlichst, Ihr/Ihre
OA Dr. Gerald Pärtan (Präsident des VMSÖ)
OÄ Dr. Elke Dimou (Chefredakteurin)
RT Martina Dünkelmeyer (Schriftführerin)

 

A) Review Weltweite Strahlen-Überexpositionsunfälle: Strahlentherapie und Durchleuchtung weiterhin an erster Stelle

Reported Radiation Overexposure  Accidents Worldwide, 1980-2013: A Systematic Review). Coeytaux K, et al., PLoS One. 2015; 10(3): e0118709.
www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4366065/   
In der untersuchten Zeitspanne von 33 Jahren ist die Zahl der berichteten Vorfälle gesunken. Der größte Anteil der Überexpositionen ist allerdings im medizinischen Bereich insbesondere im Rahmen der Strahlentherapie und der Röntgendurchleuchtung zu verzeichnen und dies deutlich über dem Anteil von z.B. "orphan sources" (verwaiste radioaktive Abfälle wie z.B. die Kobalt 60-Quelle beim Unfall von Goiana). Dies sollte Anlass zu verstärkten Qualitätssicherungsprogrammen sein. Die genannte Arbeit wurde auch als Kern für einen kurzen Übersichtsartikel des Medizinphysikers John Damilakis in den April-News der EUROSAFE-Kampagne der European Society of Radiology herangezogen (www.eurosafeimaging.org/articles/esr-news-april-2016). 
Der VMSÖ ist übrigens schon seit Längerem einer der mittlerweile 51091 „Friends of EUROSafe“.

 

B) "Arbeitsbedingte Krebserkrankungen müssen in Europa & weltweit verhindert werden" - Studie zu arbeitsbedingten Krebserkrankungen des ÖGB und der Österreichischen Arbeiterkammer

Arbeitsbedingte Krebserkrankungen sind laut dieser Studie ein riesiges, stark unterschätztes Problem.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat im Jänner 2016 eine Deutsch-Übersetzung eines Working Papers (Jukka Takala: Eliminating occupational cancer in Europe and globally) des ETUI, European Trade Union Institut aus 2015 herausgegeben. Zu finden ist diese Studie über Suche auf www.gesundearbeit.at
 Für Österreich beläuft sich die Schätzung auf jährlich Todesfälle aufgrund einer arbeitsbedingten Krebserkrankung auf 1.820. Demgegenüber sind im Jahr 2014 in Österreich 192 Menschen infolge von Arbeits- und Arbeitswegunfällen verstorben. Somit übersteigt die Zahl der vermutlich arbeitsbedingten Krebsmortalität um fast das zehnfache die Zahl der unfallbedingten Todesfälle, EU-weit wird sogar ein Faktor 20 angegeben. Klarerweise ist diese Zusammenstellung mit vielen Unsicherheiten behaftet. Als weitaus größter Faktor erweist sich die Asbest-Exposition mit konsekutiven Pleuramesotheliomen. Für Großbritannien werden etwas über 4000 asbestbedingte Todesfälle geschätzt, an zweiter Stelle mit knapp 2000 Fällen kommt die Schichtarbeit (!), an dritter Stelle Mineralöle. Insgesamt sollen 85% der Krebserkrankungen auf die zehn am häufigsten verwendeten Chemikalien sowie den (bereits verbotenen) Tabakrauchs in der Raumluft zurückzuführen sein.
Beruflich bedingte Strahlenexposition spielt demgegenüber nur eine kleine bzw. gar keine Rolle. Lediglich mit einer niedrigen dreistelligen Zahl an Verstorbenen wird Radon angegeben, hingegen kommt die externe Strahlenexposition aus medizinischen oder sonstigen Quellen in diesem Report überhaupt nicht vor. Selbst wenn viele der angeführten Daten überraschend, um nicht zu sagen überprüfenswert erscheinen, darf dies zumindest als gutes Zeichen für die effektive Wirksamkeit des Strahlenschutzes von beruflich strahlenexponierten Personen gewertet werden.

 

C) Hirntumor-Mortalität bei Durchleuchtungs-RTs möglicherweise erhöht

Dass es trotzdem Kohorten an beruflich strahlenexponierten Personen geben kann, bei welchen der Eindruck erhöhter Krebsmortalität besteht, zeigt eine Studie (Rajaraman P, et al.,: Cancer Risks in U.S. Radiologic Technologists Working With Fluoroscopically Guided Interventional Procedures, 1994-2008. Am J Roentgenol. 2016;206[5]:1101-8) an RadiologietechnologInnen, welche in einem Fragebogen angegeben hatten, dass durchleuchtungsgezielte Eingriffe Teil ihres Arbeitsspektrums seien. Es zeigte sich eine um den Faktor 2,55 erhöht Mortalität an Hirntumoren und wesentlich weniger stark erhöhte Inzidenz von Mammakarzinomen. Schwäche der Studie ist das Fehlen konkreter dosimetrischer Angaben. Auch wenn die Autoren dieser Studie selbst ihre Limitationen für bedeutend halten, waren die Ergebnisse doch Grund genug für einen Aufruf zur Verbesserung der Strahlenschutzkultur bei interventionell radiologischen Eingriffen  in Form eines Kommentars in der gleichen Ausgabe des American Journal of Roentgenology. (Bartal G, AJR 2016;206:1110-1111)

 

D) Verdoppelung der CT-Untersuchungen an kalifornischen Traumapatienten innerhalb von 8 Jahren

Noch höhere Strahlendosen als beruflich strahlenexponierte Personen erhält diese Patientengruppe. In zahllosen wissenschaftlichen Arbeiten wird ein laufender Anstieg insbesondere der Zahl an CT-Untersuchungen dokumentiert. Exemplarisch sei hier ein rezenter Article in Press des Journal of Surgical Research (Tong GE, et al.: Use of emergency department imaging in patients with minor trauma, Published Online: December 01, 2015, http://dx.doi.org/10.1016/j.jss.2015.11.046 ) genannt, welcher die CT-Frequenzen an über 8,5 Millionen TraumapatientInnen in Kalifornien zwischen 2005 und 2013 untersuchte. Der Anteil an PatientInnen, welche zumindest einer CT-Untersuchung unterzogen wurden, stieg von 3.51% im Jahr 2005 auf 7.17% im Jahr 2013, bzw. hatte sich – auch nach Korrektur um demographische und klinische Faktoren – knapp verdoppelt.
Auch wenn ganz allgemein die zunehmende Verwendung der CT bei Traumapatienten mit guter Evidenz für die Reduktion der Mortalität, Verkürzung der Aufenthaltsdauer, Beschleunigung der Diagnose sowie Verbesserung der diagnostischen Treffsicherheit einhergeht, fehlen in der Ansicht der AutorInnen ausreichende Beweise, dass diese positiven Effekte bei leichteren Traumata das Strahlenrisiko tatsächlich aufwiegen. Ein starker Treiber für die steigende Zahl an CT-Untersuchungen ist die Defensivmedizin allgemein sowie der Druck zur Kostenersparnis durch Verkürzung der Diagnosewege, wodurch die  mehrstündige Beobachtung des Symptomverlaufes durch eine möglichst sofortige CT-Diagnostik ersetzt wird. Die Schlussfolgerungen dieser Studie können  auch im deutschsprachigen Raum wohl sehr gut nachvollzogen werden.

 

E) 30 Jahre Reaktorkatastrophe von Tschernobyl

Am 26. April 2016 jährte sich das Reaktorunglück zum 30. Male. Ganz sicher wird hier keine stringente Zusammenfassung und Deutung der radiobiologischen Effekte dieses Ereignisses geleistet, einige Anmerkungen seien jedoch gestattet:
Ein wichtiges Organ bei der Abschätzung der Folgen war das „Tschernobyl-Forum“, eine Arbeitsgruppe unter dem Dach der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA). Diese trat 2003 zusammen und veröffentlichte 2005 einen zusammenfassenden Bericht (www.iaea.org/technicalcooperation/documents/chernobyl.pdf , welcher im Rahmen einer zweiten, überarbeiteten Auflage 2006 auch auf Deutsch erschienen ist (www.iaea.org/sites/default/files/chernobyl_ger.pdf ). Dieser Bericht gab Abschätzung von etwa 4000 Todesfällen.  
Ebenfalls 2006 wurde im Auftrag der IARC (International Agency for Research on Cancer, eine Unterabteilung der WHO) eine Abschätzung über die Zahl der künftig zu erwartenden Todesfälle publiziert (Cardis E, et al.: Estimates of the cancer burden in Europe from radioactive fallout from the Chernobyl accident. Int J Cancer. 2006 Sep 15;119[6]:1224-35). Hier wurde bis 2065 in Europa mit ungefähr 16.000 Fällen von Schilddrüsenkrebs und 25.000 Fällen von anderen Krebsarten. Ungefähr 16.000 zukünftige Todesfälle in Europa könnten auf diese Krebserkrankungen zurückgeführt werden.
Die genannten Studien wurden und werden von einigen Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Ärzte gegen den Atomkrieg als verharmlosend kritisiert und Gegenstudien in Auftrag gegeben. Prominentes Beispiel ist „The Other Report on Chernobyl“ (TORCH), welcher ebenfalls 2006 herausgegeben wurde. Eine Aktualisierung dieses Reports wurde heuer im Auftrag der österreichischen Umweltorganisation Global 2000 gemeinsam mit der Wiener Umweltanwaltschaft initiiert www.global2000.at/sites/global/files/GLOBAL_TORCH%202016_rz_WEB_KORR.pdf . Mit dem Segen eines Vorwortes der Wiener Umweltstadträtin Ulrike Sima u.a. ist die Gesamtzahl der zu erwartenden Todesfälle mit 40.000 angegeben sowie eine Steigerung der Todesrate durch weitere, nicht kanzeröse Todesursachen als wahrscheinlich dargestellt.
Zu den kanzerösen und fraglichen nicht kanzerösen Strahleneffekten kommt eine Überlagerung durch psychosoziale Faktoren (siehe auch Bromet EJ, Havenaar JM: Psychological and perceived health effects of the Chernobyl disaster: a 20-year review. Health Phys. 2007) hinzu. Dies sei nicht im Sinne von "die meisten Beschwerden ohnehin nur eingebildet" erwähnt, sondern vielmehr in dem Sinne, dass Katastrophen in der Größenordnung wie Tschernobyl zu wirklich tiefgreifenden, belastenden, mehrdimensionalen  Veränderungen der Lebensumstände der Betroffenen führen.  Die Katastrophe von Tschernobyl  verschärfte die wirtschaftlichen Folgen des Zusammenbruches der Sowjetunion mit auch einer gewaltigen Ressourcenkrise im Gesundheitssystem. Dies und die Umsiedlung von ca. 350 000 Menschen, die dadurch ausgelösten Zäsuren in der Lebensplanung gemeinsam mit der Verunsicherung durch einerseits anfänglich gezielte Unterinformation und andererseits die realen Schwierigkeiten, das Ausmaß der radioaktiven Emissionen und Immissionen sowie deren biologische Effekte seriös abzuschätzen, haben verständlicherweise zu einer Aggravation vieler Symptome beigetragen. Auch wenn die Abschätzung und Differenzierung der verschiedenen Effekte solcher Unglücksfälle schwierig genug ist, haben die Betroffenen ein besonderes Bedürfnis nach möglichst offener, wahrheitsgemäßer Information, die möglichst verständlich das verfügbare Wissen, aber auch die unvermeidlichen Wissenslücken zum jeweiligen Zeitpunkt darstellt. Neben Verharmlosung scheint umgekehrt auch der von manchen Seiten eingeschlagene Weg problematisch, über Tschernobyl und die Betroffenen medial anhaltend eine diffuse, uferlose Wolke aus Unheil und Unentrinnbarkeit zu legen, die sich mit den die sicherlich nicht geringen  Strahlenfolgen  vermengt sowie mit weiteren anderen sozioökonomischen Problemen, denen die Menschen in dieser Region ausgesetzt waren und sind. So übt sich gerade die für die Aufrechterhaltung und den Ausbau der Kinderonkologie in der Ukraine und Weißrussland überaus verdienstvolle Initiative „Tschernobylkinder“ von Global 2000 darin, eine Differenzierung der Krebsursachen der von ihr betreuten Kinder weitgehend zu unterlassen und so zu suggerieren, dass jede Krebserkrankung in der Region ausschließlich auf die "Verstrahlung" im Rahmen der Reaktorkatastrophe zurückzuführen sei. Auf der Suche nach Spendengeldern wird eher  auf die Tragik einer dominant durch die Tschernobylkatastrophe bestimmte Stimmung gesetzt und damit vielleicht gerade auch den Betroffenen Chancen genommen, die Verursacher der noch immer mannigfaltigen Misere in der Ukraine und in Weißrussland  klarer zu benennen und damit auch zu bekämpfen. Wie z.B. eine krebsfördernde Lebensunstände  und die krasse Unterfinanzierung des Gesundheitssystems, an welcher nicht nur die Reaktorkatastrophe, sondern durchaus auch andere gesellschaftliche und politische Faktoren schuld sind. Es ist auch ohne weitere Dramatisierung klar genug, dass der Preis der Atomkraft ein sehr, wahrscheinlich allzu hoher ist.

 

F) VMSÖ-Jahrestagung 2016 - Vorprogramm

Sie finden das nunmehr fertige Vorprogramm mit Anmelde- und Gebühreninformationen hier